Schon mit 15 habe ich in mein Reisetagebuch geschrieben: „London ist die Liebe meines Lebens“. Daran hat sich bisher nichts geändert. Im Gegenteil, die Liebe ist sogar noch inniger geworden. Allerdings gibt es viele der Orte nicht mehr, die ich schwärmerisch in meinen Reiseberichten beschrieben habe. Da gab es das Limelight, eine unglaubliche Disco, in einer Kirche in der Shaftsbury Avenue, so ziemlich der beste Club, in den ich je im Leben mein Tanzbein gesetzt habe. Auch mein Shopping Tempel, der Kensington Market ist verschwunden. Die vielen kleinen Stände waren ein Paradies für ausgefallene Klamotten, die definitiv nach London und Rock’n‘Roll aussahen. Dieser Laden war einfach begehbare Popkultur, es war nur eine Frage, wie mutig mach war. Selbst Roger Taylor und Freddie Mercury von Queen hatten dort in den 70ern einen Stand. Noch heute trauere ich um diesen besonderen Ort, wenn ich die Kensington High Street entlang laufe. Mittlerweile steht dort ein schnödes Geschäftshaus mit dem Laden einer Computerkette im Erdgeschoss. Belangloser geht es kaum noch. So geht es mit vielen Orten, nicht nur in London. Als ich vor 16 Jahren nach Berlin gezogen bin, gab es Läden am Hackeschen Markt, in die ich mich nicht rein getraut habe, so fürchterlich cool fand ich die und so fürchterlich uncool fand ich mich. Kleine Läden, jeder so individuell, so besonders, strotzend vor Kreativität. Die muss man jetzt wie die Stecknadel im Heuhaufen suchen, irgendwo in kleinen Seitenstraßen. Übrig geblieben sind Flagship-Stores. Geschäfte, die man überall findet, in jeder Fußgängerzone der Nation. Nichts mehr ist individuell, alles uniform. Aber eine dreifache Miete können sich halt nur die ganz Großen leisten.
In meinem Interview mit Felix White von The Maccabees für FastForward Magazine, kommen wir auf genau diese Veränderung zu sprechen, die in London noch extremer voranschreitet als in Berlin. Viele Parallelen lassen sich aber sofort erkennen. Das letzte Album „Marks To Prove it“, das die Band vor ihrer Trennung aufgenommen hat, setzt sich mit dem Wandel in ihrer Heimatstadt auseinander. Genauergesagt mit dem Bezirk Elephant and Castle, dem Südlondoner Stadtteil, in dem sie leben und in dem sie, bis zu ihrer Auflösung, ihr Studio hatten. Mit „Marks To Prove It“ ist eine Platte entstanden, die nach London klingt, nach dem Gefühl der Stadt am Abend. In der Tat muss man bei dem Song „Ribbon Road“ nur die Augen schließen und befindet sich in einer Londoner U-Bahn mit heranrollenden Zügen.
Eine Hommage an die Gegend und die Vielschichtigkeit der dort lebenden Community rund um Elephant & Castle. Auch hier müssen nun viele kleine Läden um ihre Existenz bangen. Noch vor einiger Zeit hat diese Gegend niemanden so richtig interessiert. Sie war einfach da, mit ihrem riesigen rosa Elefanten in der Mitte des Kreisverkehrs. Doch nun sind die Stadtentwickler auf diesen Stadtteil aufmerksam geworden. Mit einem Investment von 1,5 Mio Pfund muss sich die Gegend einem umfassenden Facelift stellen. Was bei so einem Facelift passiert ist in der Regel auch klar, es wird nicht nur alles vordergründig ein bisschen hübscher gemacht, es entstehen neue unerschwingliche Wohnungen und Bürogebäude. Und schon wieder müssen Menschen weichen, weil das Leben unerschwinglich geworden ist und noch weiter an den Stadtrand ziehen.
Das Video zu dem Titelsong „Marks To Prove It” zeigt Elephant and Castle wie es leibt und lebt: das Gewusel, die Energie, die Veränderung.
Auch das Plattencover ziert ein für diese Gegend typisches Londoner Gebäude, dass Faraday Memorial. Teil des Kreisverkehrs, der signifikant für diese Gegend ist. Felix White prangert diese Veränderung an.
„Es ist gerade eine eigenartige Zeit in London. Wir haben eine konservative Regierung. Viele Leute die arbeiten, können es sich kaum noch leisten in London zu leben. Es werden massenweise alte historische Gebäude abgerissen um Wohnungen zu bauen, in denen noch nicht mal jemand wohnt. Es sind wirklich beängstigende Zeiten. Es war uns daher wichtig etwas zu schreiben, was mit unserer Community zu tun hat, in der wir leben. Für mich ist es die politischste Zeit, an die ich mich erinnern kann, seit ich dort lebe.“
Wir sind uns nach diesem Interview einig, Veränderung wird es immer geben und überall. Und ja, manchmal geht auch ein Lieblingsladen dabei verloren. Wenn es aber ganze Existenzen bedroht und die Kultur einer Stadt gefährdet, dann ist das mehr als bedenklich.
Was Stadtprojekte für die dort ansässige Community bedeuten und wie viel Verdrängung damit einher geht, zeigt die BBC Doku „Who killed the night“, der Londoner Radio Moderatorin und Djane Annie Mac. Annie geht dabei dem Club-Sterben auf den Grund. In den letzten 10 Jahren sind in England mehr als die Hälfte der Clubs geschlossen worden. Besonders stark betroffen sind Manchester und London. In Manchester ist gerade das Sankeys einem Stadtprojekt zum Opfer gelfallen. Über die Stadtgrenzen von London hinaus hat die Schließung des legendären Clubs Fabric für Aufsehen gesorgt. Proteste von Clubgängern und DJs aus der ganzen Welt haben glücklicherweise dazu geführt, dass der Club wieder öffnen durfte. Ganz anders ist es einigen Clubs ergangen, die Annie Mac heute nur noch als Baustelle besichtigen kann. Der Baustellenleiter eröffnet bei der Begehung, was aus dem ehemaligen Club werden soll: Wohnungen, Luxuswohnungen. Dabei wird er selbst nachdenklich und sogar ein bisschen sentimental, denn in den Wänden, die er jetzt einreißt, hat er selbst fulminante Nächte erlebt.
Es dreht sich also alles im Kreis. Menschen ziehen an einen Ort, weil die Mieten erschwinglich sind und Platz für Kreativität ist. Die Gegend wird immer populärer, die Mieten steigen, Menschen werden an den Rand der Stadt gedrängt und die kreativen Plätze gehen verloren. Man kann sich dieses Viertel nicht mehr leisten. Und alles was diese Gegend einmal besonders und liebenswert gemacht hat verschwindet so langsam. Irgendwann lesen wir nur noch in unseren Tagebüchern und Berichten nach, was diese Orte einst für uns ausgemacht haben.
Join me on my Rock n Roll journey,
Kate Rock
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