Ich bin ein Kind der 80er. MTV war meine Religion. Steve Blame und Ray Cokes waren meine Prediger. Und dann sitze ich plötzlich an einem Montagmorgen einer Ikone meiner Jugend gegenüber: Holly Johnson, der ehemalige Frontmann von Frankie Goes To Hollywood. Was für eine Ehre! Ich begegne einem bodenständigen, sehr sympathischen Engländer, der fast demütig wirkt. Wir unterhalten uns über sein neues Album „Europa“ und über Musik im Allgemeinen.
Nach fast 14 Jahren, in denen du Dich nur ab und zu mit Musik beschäftigt und Dich mehr der Kunst gewidmet hast, was hat Dich dazu bewegt, eine neue Platte aufzunehmen?
Das stimmt nicht ganz, ich habe nie aufgehört, mich mit Musik zu beschäftigen. Ich höre ständig Musik, gehe viel auf Konzerte und habe konstant Songs geschrieben. Vielleicht nicht ganz so viel wie früher. Aber ich habe eigentlich immer geschrieben. Nach meinem letzten Album „Soulstream“ hat es sich für mich so angefühlt, dass es im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr für mich gibt. Keiner hat sich in England für die Platte interessiert, sie wurde fast nicht im Radio gespielt. Du steckst so viel Zeit und Mühe da rein. Wahrscheinlich hatte ich auch zu dieser Zeit das falsche Team um mich herum, ich denke aus meiner Unerfahrenheit, da ich alles mit meinem eigenen Label gemacht habe.
Bist du damit der Musik oder besser der Musikindustrie überdrüssig geworden?
Nein, es war glaube ich einfach nur so, als wäre damals gerade nicht der richtige Zeitpunkt für mich gewesen. Daher habe ich mir gedacht ich mache einfach mal etwas anderes Kreatives und gehe wieder auf die Kunsthochschule, die ich 1983 wegen Frankie abgebrochen habe. Ich habe interessante Leute auf dem College kennen gelernt und wurde dort sehr gut aufgenommen. Ich habe Studenten aus der ganzen Welt getroffen, das war eine sehr spannende Zeit. Durch einen Zufall habe ich dann Peter Blake getroffen, der das Cover für „Sergeant Pepper“ gemacht hat. Er hat mich eingeladen eine Ausstellung mit ihm zu machen.
Die Musikindustrie hat sich so sehr geändert. Hast Du das Gefühl, es wird immer schwieriger mit seiner Musik gehört zu werden?
Ja, es wird immer schwieriger, dass die Radiosender Deine Musik spielen. Es gibt auch keine richtigen Musiksendungen mehr. In England kannst Du im Fernsehen praktisch nur noch live bei Jools Holland auftreten. Das ist wahnsinnig schwierig, jeder möchte dort spielen. Heutzutage musst Du Deine Musik fast umsonst weg geben. Du musst andere Wege finden, um zu überleben. Ich bewundere die ganzen jungen Bands, die in ihren Schlafzimmern ihre Platten aufnehmen und sie dann einfach auf YouTube stellen. Ich frage mich manchmal, wie sieht für sie die Zukunft aus?
Was hältst Du von Thom Yorke von Radiohead? Er ist mit dem Torrent gerade einen ungewöhnlichen Weg gegangen, sein Album zu vermarkten.
Mich beeindruckt seine Haltung überhaupt nicht. Er verhält sich wie ein Vogel Strauss, der nicht die veränderten Regeln anerkennt. Ok, er hat einen Weg um das System gefunden. Er ist aber in einer privilegierten Position. Der meisten Künstler sind in einer ganz anderen Situation und können so einen Weg gar nicht gehen. Auch wenn er eine sehr relevante Meinung vertritt, ist das nicht meine Meinung zu dem Thema.
Was hat Dich dann letztendlich dazu gebracht doch wieder eine Platte aufzunehmen?
Ich habe 2009 angefangen. Universal hat mich damals gefragt, ob ich „Frankie Say Greatest“ promoten würde. Ich sagte okay… aber nur wenn ihr meine Soloalbumen wieder neu auflegt, die ihr besitzt aber vor 15 Jahren gelöscht habt. Sie waren nicht mehr auf iTunes oder sonst wo erhältlich. Ich habe ihnen gesagt, wenn ich euch einen gefallen tue, dann könnt ihr mir auch einen Gefallen tun. Und wie plötzlich meine Musik wieder da war, habe ich gefühlt, dass ich als Solo-Künstler wieder existiere und nicht nur als 1980 Nostalgie-Act von Frankie Goes To Hollywood. Ich hatte das Gefühl, ich kann wieder nach vorne schauen und eine authentische 2014 Version von mir werden. Diese Art Künstler, die ich vielleicht auch ohne Frankie Goes To Hollywood geworden wäre.
Stimmt es, dass die Songs eine Art Retrospektive von Dir darstellen?
Ja, einige aber nicht alle. Einige der Songs habe ich sogar über die letzten 30 Jahre während verschiedener Perioden geschrieben. Songs wie „Heaven’s Eyes“, „So Much It Hurts“ und “In And Out Of Love” sind allerdings ganz neue Songs. “Glorious” hingegen wurde mit Vini Reilly von Durutti Column schon 1994/95 geschrieben. „Europa“ entstand bereits 1990 mit Vangelis. Ich bin ein großer Fan von Blade Runner, für die sie die Musik komponiert haben. Auf dem Album spielt unter anderem auch Phil Manzanera von Roxy Music. Das war das zweite Konzert, das ich je in meinem Leben gesehen habe, damals in Liverpool, ich war 14. Mein erstes Konzert war David Bowie 1973, ich habe extra einen Tag von der Schule frei genommen, um mich in die Schlange nach Tickets anzustellen. Dieses Konzert hat damals mein Leben verändert. Heutzutage braucht man noch ein zweites Standbein, von der Musik alleine kann man fast nicht mehr leben.
Dein Album hört sich so positiv an. Spiegelt es wieder, wie Du Dich gerade fühlst? Wie ich es das erste Mal gehört habe, war ich in einer eher schlechten Laune und plötzlich habe ich gelächelt und bin durch die Gegend gehüpft.
Oh, wirklich? Das freut mich sehr, dass es diesen Effekt auf Dich hat. Ich bin mit der Platte super zufrieden. Ich habe es noch nie so sehr genossen, im Studio zu sein. Ich sag das nicht nur, weil es die neue Platte ist. Ich habe mich wirklich so wohl gefühlt, wie lange nicht mehr und es war ein großes Vergnügen mit Mark Ralph zu produzieren. Wir haben eine Ebene gefunden. Wir haben zum Beispiel beide das gleiche Interesse an Vintage Synthesizern.
Oh, habt ihr einen Yamaha DX7 benutzt? Den hatte doch jeder in den 80ern?
Ja, ich besitze sogar noch einen. Damit haben wir in „Dancing With No Fear“ eine Piano-House Sound produziert. Wir haben sogar einen Deutschen Synthesizer „Doepfer“ benutzt. Ich hatte den „Dark Energy II“ und wollte unbedingt für ein paar Sounds den „Dark Energy I“ haben, der wird aber nicht mehr hergestellt. Doepfer hat mir dann geholfen noch ein Modell zu finden. Ich habe auch noch einen kleinen Koffer-Synthesizer von EMS, der von Brian Eno für Bowies’ „Heroes“ und „Low“ benutzt wurde. Wir hatten sehr viel Spaß damit, die Sounds zu produzieren. Dann haben wir noch verschiedene Musiker eingeladen um auf dem Album mitzuspielen, wie Andrew Levy von den Brand New Heavies, er hat Bass gespielt. Oder Marks Bruder, der für Robbie Williams viel gemacht hat, hat die Drums gespielt. Obwohl es so elektronisch klingt, sind viele „echte“ Instrumente auf dem Album, sie kommen aber alle aus einem Pult, das von dem legendären Deutschen Produzenten Conny Plank gebaut wurde, der auch schon früher viel mit Kraftwerk gemacht hat.
Einige Deiner Songs wie „ Follow Your Heart“ hören sich nach einem Lebens-Rezept an. Hast Du das eher für Dich geschrieben oder für Deine Zuhörer?
Ja, ist es wirklich. Es ist für jeden, der damit etwas anfangen kann. Ich muss mich jeden Tag neu motivieren um aufzustehen und los zulegen. Ich brauche einen Tritt in den Hintern und ein paar positive Messages. Die habe ich dann in Songs verpackt.
Du singst „… sei Dir selbst treu und vertraue Deinem eigenen Herzen“. Ich finde das sind sehr wahre Worte aber es ist auch wahnsinnig schwer sich im täglichen Leben daran zu halten. Schaffst Du es immer, Dir treu zu bleiben?
Es ist schwer, weil Du nicht immer das schaffst, was Du willst. Ich lerne täglich so viel, wie ich mein Leben am besten lebe. Ich denke es macht einfach keinen Sinn, Dinge zu tun, die Du nicht magst oder an die Du nicht glaubst. Schau nach draußen, es scheint die Sonne. Es ist ein wunderbarer Herbsttag. Ich möchte das nächste Interview draußen bei einem Spaziergang machen. Das Leben ist einfach viel zu kurz, um Dinge zu tun weil es jemand von Dir will oder wegen des Geldes. Wenn Du machst was aus Deinem Herzen kommt, dann bist Du auch gut. Auch wenn das manchmal schwer scheint, ist es eigentlich ganz einfach.
Hat die Kunst Einfluss auf Deine Musik oder umgekehrt?
Der Visuelle Aspekt der Musik war für mich immer ein wichtiger Part. Bei Bands wie Roxy Music oder David Bowie ging es nicht nur um die fantastische Musik sondern auch um die optische Präsentation und die visuelle Welt. Ich mochte auch schon immer die Kunstwelt von Andy Warhol und welche Leute er damit angezogen hat wie zum Beispiel The Velvet Underground. Ich habe damals in Liverpool gelebt, für mich war das immer eine wahnsinnig faszinierende aber unerreichbare Welt.
Hast Du Warhol später jemals getroffen?
Ja, das war aufregend. Wirklich! Ich war wirklich überglücklich. Kunst ist für mich aber auch, wie die Beatles damals mit ihren Album Covern umgegangen sind. Für mich war das als hätte Dorothy im „Wizard of Oz“ die Tür zum „Munchkinland“ geöffnet. Es ist eine Tür aufgegangen, in eine ganz neue Welt. Diese Faszination ist genau das, was Musik für mich bedeutet und es geht Hand in Hand mit Kunst.
Fühlst Du Dich mittlerweile mehr wie ein kreativer Künstler als nur wie ein Musiker?
Mit meiner Stimme habe ich ein natürliches Instrument geschenkt bekommen. Da habe ich wirklich Glück gehabt, das ist eine Gabe. Ich glaube ich bin daher ein besserer Sänger. Aber Malen macht mir wahnsinnig viel Spaß. Es befriedigt mich einfach kreativ. Ich schreibe ja auch, „A Bone In My Flute“ war mein erstes Buch. Es sind einfach verschiedene Arten sich auszudrücken.
Hast Du das Cover für „Europa“ gemalt?
Ja, ich habe den herablaufenden Union Jack 2002 für eine Ausstellung Namens „Ausgang“ gemalt. Zum Jubiläum der Queen – eine Ausstellung über das Hause Sachsen-Coburg, eine Referenz zu Ihrer Deutschen Historie. Ich habe sehr viele Deutsche Einflüsse in meinem täglichen Leben, durch meinen Partner Wolfgang, mit dem ich nun seid 30 Jahren zusammen bin. Dieses Werk hatte einen bestimmten Hintergrund. Es sollte die Auflösung des Empires darstellen. Aber mittlerweile betrachte ich es eher als Verwischen der nationalen Identitäten. In England gibt es da gerade ein sehr eigenartiges Gefühl.
Ich habe mich gefragt, ob Du mit dem Song „Europa“ eine Art Europäische Hymne schreiben wolltest?
Ja, es ist fast wie ein Propaganda-Song. Der Song stellt die Frage: sind wir ein Teil von Europa oder sind wir dabei innerhalb von Europa unsere Identität zu verlieren? Ich habe den Text zu dem Song direkt nach dem Fall der Mauer geschrieben. Es war eher gedacht als Hoffnung für die Zukunft in einem vereinten Europa. Es sind sehr viele Referenzen in dem Song.
Obwohl es so lange her ist, dass Du den Text geschrieben hast, fühlt es sich sehr nach heute an.
Ja, absolut! Man sieht wie manche Dinge durch die Zeit noch relevanter werden. Es ist, glaube ich, gerade die perfekte Zeit gewesen, den Song aufzunehmen. Er ist eigentlich aktueller denn je.
Was ist Dein Lieblingssong auf dem neuen Album und warum?
Als Songschreiber bin ich sehr stolz auf „So Much It Hurts“. Es ist nicht der offensichtlichste, kommerziellste Song, der Dich sofort mitreißt. Er kommt aus dem Herzen und erzählt von etwas, zu dem wir alle einen großen Bezug haben. Eine obzessive Beziehung. Eine intensive Liebe zu jemandem ganz Besonderen.
Ist es für Dich ein sehr persönlicher Song?
Ja, total persönlich. Ich habe viele Erinnerungen, auf die ich Bezug nehmen kann. Man verliebt sich in die Jugendlichkeit und kann nur sehr schwer los lassen. Das ist fast wie eine Midlife-Crisis.
Eine letzte Frage: In „Lonesome Town“ singst Du „.. call me up when you are down…“ Darf ich Dich anrufen, wenn ich das nächste Mal dieses Gefühl habe?
(lacht) Oh ja, das kannst Du machen. Ich bin froh wenn ich helfen kann. Ich geb’ Dir meine Nummer.
Join me On my Rock ’n Roll journey,
Katje Rock
Fotos: Kevin Davis, Kate Rock
Original Interview erschienen auf FastForward Magazine (20.10.2014)
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