Es gibt Tage, da kommt alles anders als man denkt. Voller Vorfreude auf ein Wochenende in London packt man schon mal gedanklich seine Tasche. Ein super Wochenende in der allerliebsten Lieblingsstadt mit der Lieblingsfreundin Gabi liegt vor einem. Bloß nicht das Ticket für das Jack White Konzert vergessen. Denn deswegen fliegt man ja schließlich in die Englische Hauptstadt. Natürlich auch um Freunde zu besuchen. Aber ganz besonders wegen Jack. Und das war keine leichte Entscheidung, denn am gleichen Abend spielen Arcade Fire. Aber dieses Mal ist Mr. White dran. Da muss man seine Zuneigung schon gerecht verteilen.
Und dann blinkt das Handy auf. Twitter verkündet: DJ Windows 98 legt einen Tag vor dem Konzert in einem Londoner Pup auf. DJ WINdows 98 – ein Pseudonym, das bei wahren Arcade Fire Fans reinste Verzückung auslöst, denn dahinter verbirgt sich kein geringer als Frontmann Win Butler. Immer wieder gab es in den letzten Wochen während der ausgedehnten „Reflektor“ Tour Geheimkonzerte der Band, bei denen sie Cover Versionen spielten oder Win Butler am DJ Pult stand. Man möchte meinen, dass die Band mit einer Tour ausgelastet ist und um jede Pause froh ist. Aber nein, da geht immer noch ein bisschen mehr. Auch in Berlin nach dem Arcade Fire Konzert in der Wuhlheide ab es einen dieser „geheimen“ Auftritte. Die Ankündigung am Morgen verursachte hellste Aufruhr, selten wurde so viel Energie aufgebracht, um es am Ende erfolgreich auf die Gästeliste zu schaffen. Noch mit Adrenalin im Blut von einem phänomenalen Konzert, stellten wir uns brav in die Schlange – um es am Ende, aufgrund von Überfüllung, trotz Gästeliste nicht mehr hinein zu schaffen. Die Enttäuschung war groß, riesengroß.
Aber es gab eine neue Chance: London! Im Internet konnte man für 6 Pfund Tickets buchen. Aber welch Drama – es gab nur noch eins statt der benötigten zwei. Egal. Wie sagte Win Butler einst so schön? „Make it big or go home.“ Das mit dem zweiten Ticket müssten wir irgendwie vor Ort klären. No Risk no fun – oder wie war das im Rock ‘n Roll?!
Und da bahnt sich schon das nächste Drama an, Gabi hat nicht nur kein Ticket sondern auch den Flug erst einen Tag später. Aber ohne Gabi zu einem DJ Gig von Win Butler? Da muss man gar nicht erst überlegen, das geht auf gar keinen Fall. Wir tun alles für den Rock’n’Roll, hier handelt es sich schließlich um eine Herzensangelegenheit. Es muss ein neuer Hinflug her, und da Gabi mit weinendem Kind vorm Kindergarten steht, hacke ich mich mit ihren Daten bei Easyjet ein und buche kurzerhand um. Bam! London, wir kommen! Mit unterschiedlichen Flügen aber: wir kommen!
Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf
Gabi, ohne Ticket, sitzt schon in der Bar des kleinen Pubs in Dalston, East London. Mein Handy blinkt im Sekunden-Takt: wir haben noch immer kein zweites Ticket. Sollte es dieses Mal wieder nicht klappen? Dann bin auch ich endlich da. In einer Gegend, in der ich trotz unzähliger London Besuche noch nie war. Hey, aber öfter mal was Neues!. Ich laufe an zwei respektablen Türstehern vorbei, stehe endlich im Shacklewell Arms und bekomme tatsächlich mein Bändchen überreicht. Irgendwie kann ich es nicht fassen. Ich lasse mich zu Gabi und ihrer Begleitung auf die Bank fallen. Auf die ganze Aufregung erst mal ein Cider und Lageplan besprechen. Das Bändchen locker umgebunden entscheiden wir uns für den guten, altmodischen Bändchentausch. Jahre nicht gemacht!
Ich stelle mich im Nebenraum an, immer wieder geht die Tür einen Spalt auf. Der Raum ist winzig. Ein Blick: Win Butler bastelt an seinem Dj Pult. Dann öffnet sich die Tür. Die ersten dürfen rein und ich stehe direkt vor Mr. Butler, besser gesagt vor ein paar Congas und schaue ihm beim Kabel anstöpseln zu. Hinten in der Ecke stehen Régine Chassagne, Owen Pallett und noch ein weiteres Gesicht, das mir bekannt vor kommt. Später merke ich, es ist Spike Jonze. Na gut, dann halt auch noch ein Oscar Gewinner. Irgendwie glaube ich immer noch nicht, dass ich in diesem kleinen Pub bin, genauso wie maximal 150 andere aufgeregte Fans. Alle spüren, dass das ein ganz großer Abend wird. Und dann nimmt Win endlich das Mikro und begrüßt die Fans auf Französisch: „Comment ça va, London?“ Was für eine Frage…. Immer noch auf Französisch begrüßt er die zwei Haitianischen Congaspieler, die Arcade Fire aktuell auf Tour begleiten und holt sie zu sich nach vorne. Nach einer kurzen Bitte nicht mehr zu fotografieren und einfach nur Spaß zu haben und die Musik zu genießen, geht es los. Man merkt schnell, es wird kein klassisches DJ-Set. Haitianische Musik, Afro-Beats und Karibische Disco-Klänge, begleitet von den beiden Jungs an den Percussions, bringen die Menge sofort zum Tanzen. Man schaut sich um und sieht nur strahlende, glückliche Gesichter. Win lässt den Blick immer wieder durch die Menge schweifen und lächelt zufrieden. Man spürt es deutlich, er sucht die von ihm so oft beschworene „Connection“ zum Publikum.
Es wird immer heißer und ausgelassener, “You got me going baby” singt Win in sein Mikrofon. Mein Handy vibriert. Eine Nachricht von Gabi: “Was jetzt?“ Ich will ihr gerade zurück schreiben, dass ich noch zwei drei Songs brauche und dann raus komme. Da spüre ich Win Butlers Blick direkt auf mir. “Put your iPhone away and dance!” spricht er mich direkt mit seinem Mikro an. Ich erstarre vor Schreck, muss dann aber lachen, als er mich verschmitzt anlächelt und mir zu zwinkert. Er hat mich ertappt. Ich stecke mein Telefon weg, das schon wieder vibriert. Sorry, Gabi! Zur Entschädigung hält mir Win seine Whisky Flasche hin. Ich nehme einen Schluck Jim Beam auf den Schreck, obwohl Whisky nicht so mein Ding ist. Aber hey, das kann ich Win nun wirklich nicht ausschlagen.
Auf dem Weg ins gelobte Land
Ich reiße mich los und gehe zurück in die Bar. Schweren Herzen gebe ich Gabi das Bändchen. Ein wahrer Freundschaftsdienst. Der Blick wie sie davon läuft, als wäre sie geradewegs auf dem Weg ins gelobte Land, entschädigt mich ein wenig. Darauf erst mal noch einen Cider. Fünf Minuten später vibriert wieder das Handy, eine Nachricht von Gabi: „Sorry, ich glaube nicht, dass ich je wieder hier raus kommen kann.“ So viel zum Thema Freundschaft. Na gut, dann versuche ich einfach ohne Bändchen rein zu kommen und tatsächlich, mit einem leichten Kopfnicken werde ich durch die Tür gelassen. Ich habe wohl zu sehnsuchtsvoll auf diese verheißungsvolle Tür gestarrt. Ich kämpfe mich zu Gabi vor. Wir liege uns glücklich in den Armen, endlich können wir diesen wunderbaren, einzigartigen Abend zusammen genießen. Wir schmeissen die Hände in die Höhe, singen mit und tanzen wie schon lange nicht mehr. Ich tanze sogar freiwillig zu Michael Jacksons’ „Don’t Stop ‚Til You Get Enough’“. Das mache ich sonst nie! Roxy Music, Public Enemy Beyoncé, David Bowie, Talking Heads, The Knife, Fela Kuti… es kann kaum besser werden. Zu den Hip-Hop Tracks von Public Enemy („Mind Terrorist’“) und Dr Dres „Xxplosive“ sieht man nur noch die Menge auf und ab hüpfen. Aus vollem Hals singen alle mit, zusammen mit Win am Mikro. Wahnsinn… wann hat man das letzte Mal so ein ausgelassenes Party erlebt? Mit durchdringendem Blick sieht er immer wieder sein Publikum an, auch uns. Wir kichern wie Teenager. Er scheint sehr zufrieden zu sein mit dem, was er sieht. Eine glückliche Menge in der Woge der Musik und wir? Mittendrin! Wie war das neulich in der Studie? Musik hat den gleichen Effekt wie Drogen. Stimmt! Uneingeschränkt!
„All in all is all we are…“
Nach ca. 2 ½ Stunden bekommt er signalisiert, dass er Schluss machen muss, das scheint ihm gar nicht zu passen. Den Fans erst Recht nicht. Der letzte Song wird aufgelegt. Besser kann man so einen Abend kaum beenden. Die rauchige Stimme von Kurt Cobain dröhnt aus den Lautsprechern: „All Apologies“. Win reckt die geballte Faust in die Menge, 100 geballte Fäuste recken sich ihm entgegen. Voller Inbrunst singen alle zusammen: „All In All Is All We Are”. Man spürt, keiner will, dass dieser Abend je zu Ende geht – aber dann wird die PA ausgestöpselt. Nach einer kurzen Irritation fangen einfach alle wieder an zu singen, alle! Win nimmt das Mikrofon und feuert die Menge an. Der Pub Manager wirkt verzweifelt. Minutenlang hallt es durch den Raum: „All in all is all we are… married… buried… Yeah yeah yeah yeah…“
Am nächsten Tag kann es scheinbar selbst Win Butler nicht fassen, was sich an diesem Abend abgespielt hat. “It was pretty incredible“, erzählt er kurz vor dem Hyde Park Gig der Londoner Radiostation xy. „They pulled the plug. The whole audience was singin ‚All Apologies‘ but with a full Haitian back beat like Congas and Cowbells, with like 150 people singing for like 25 minutes. That was pretty incredible!“
Beglückt von der Musik und dieser unglaublichen Atmosphäre, lassen wir uns es uns am Ende des Abends nicht nehmen und gehen zum DJ-Pult. Wir haben das tiefe Bedürfnis uns für diesen unvergesslichen Moment zu bedanken. Wir reichen Win die Hand. „Thank you! It was fantastic.“ „Thank you for coming!“ An diesem Abend waren wir definitiv „connected“!
Zwei Wochen später habe ich den aktuellen NME in der Post und sehe das Unfassbare. ICH mit Win Butler auf einem Bild in einer Englischen Musikzeitschrift. Ein Bericht über diesen unvergesslichen Abend nun auch noch gekrönt mit einem gemeinsamen Bild. Das gehört definitiv in die Kategorie „Ich habs geschafft“.
Wir haben damals nicht geahnt, dass wir zwei Jahre später wieder zu DJ Windows 98 tanzen würden, wieder auf einem Wochenend-Trip im Namen der Musik. Aber das ist eine andere Geschichte….
Jetzt sind wir erst mal gespannt, welche Überraschungen uns auf der kommenden Arcade Fire Tour erwarten werden. Berlin hat bei uns ja noch etwas gut zu machen.
16.06.2017 Köln, Tanzbrunnen
02.07.2017 Berlin, Kindl-Bühne Wuhlheide
Join me on my Rock ’n Roll journey,
Kate Rock
Original Beitrag erschienen auf FastForward Magazine
Fotos: Kate Rock, Pablo Cabezos
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